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Ordnungsimpuls und Eigendynamik

Die Arbeiten von Susanne Ruoff zeichnen sich durch stete Bewegung aus. Ihre Werke stecken voll innerer Dynamik, Logik und aus der Form entwickelter Energie. Sie  zeigen sich im Innen- wie im Außenraum mit unmittelbarer Leichtigkeit, unprätentiöser Beiläufigkeit, Klarheit und subtiler Poesie.

Insbesondere im Innenraum vermitteln sich die Werke wie zufällig mit leichter Hand frei und schwerelos in den offenen Raum formuliert oder als freie Koordinaten zielgerichtet und schnurgerade zwischen streng geometrische Umrahmungen eingespannt. Immer oszillieren sie zwischen Bild, Zeichnung und Objekt. So manche räumliche Linie an der Wand scheint sich zu dehnen, zusammenzuziehen, in konkaven und konvexen Bogensegmenten und unvermuteten Richtungswechseln zu so realen wie imaginären Rhythmen zu finden, sich in kreisenden Formen auszubreiten, in Schlaufen zu überlagern oder Blattadern gleich aus ihren vorgegebenen Formaten zu biegen. Höchst spannungsreich und elastisch verkörpern diese Arbeiten einen linearen Entstehungsprozess und sind doch vielmehr Ergebnis eines tektonischen Konstruktes, das einer einmal gefassten Idee mit aller Konsequenz folgt – Linie um Linie, Bogen um Bogen, Kreis um Kreis oder Buchstabe um Buchstabe. Mit jedwedem gewählten Umriss und Linienverlauf wird nicht zuletzt auch die Fläche beziehungsweise der Raum dazwischen definiert und als substantieller Teil mit in das Werk einbezogen. Die Struktur des Materials Holz als konstruktiver Ideenträger bleibt unter der in Grau- und Brauntönen gehaltenen monochromen Fassung sichtbar.

Auch wenn sie sich immer wieder augentäuschend flexibel gibt, ist die freie Linie doch gänzlich starr und irritiert den Sehnerv wieder und wieder. Präzise aus Holz gearbeitete Lineamente und skripturale Zeichen präsentieren sich in jedwede Richtung offen und regungslos an der Wand oder hängen in einander überlagernden Schichten von der Decke. Immer zeigen sich feine Schattenrisse als Pendants der Liniengefüge und Echo räumlichen Denkens und Agierens. Bei ausgewählten Objekten lassen sich tatsächlich einzelne Schichten oder Elemente mit sanfter Berührung gegeneinander verschieben, um auf diese Weise jene in allen Werken virulenten konzeptuellen Denkmuster um Raum und Zeit zu multiplizieren und ganz nebenbei wieder in die Realität und den umgebenden Raum zurückzuführen.

Parallel zu diesen im Atelier konzipierten Raumzeichnungen und räumlichen Objekten entstehen ortsbezogene Interventionen, die unvermutet in der Landschaft und im Stadtraum aufscheinen und mit ihrem Vexierspiel aus irritierenden Farben, bekannten Formen und Maßstabsverschiebungen den Blick auf den Boden, in den Himmel, auf schattiges Dickicht oder hin zu den Sonnenstrahlen lenken, um Vorstellungen von Natur zu schärfen, Licht und Raum, Landschaft und Geschichte sowie nicht zuletzt von Kultur und Architektur auf sinnlich-haptische und nicht selten vergnüglich-hintersinnige Weise zu visualisieren und zu materialisieren.

En passant mag sich dann der Blick eines Fußgängers im Stadtraum in einer Ansammlung vermeintlicher Nistkästen verfangen, dort verweilen, um nach kurzem Zwischenstopp weiterzuwandern und im besten Fall – sensibilisiert von diesen individuellen Artefakten – die unterschiedlichsten „Haltpunkte“ staunend wieder und wieder zu fixieren. An anderer Stelle ziehen leuchtend rote knospengleiche Wucherungen den Blick aus der Ferne an, um sich in der Nähe als Miniaturmodelle ihres „Wirtes“, einer steinernen archaischen Architektur, zu offenbaren, an der sie sich hundertfach festgesetzt haben, um mit der Zeit langsam unter dem immergrünen Efeu zu verschwinden. Modellhafte Architekturen und die Idee der Vogelperspektive zeigen sich auch in weiteren Interventionen im Außenraum als so realer wie utopischer Mittler zwischen Zeit und Raum. Hier wie mit anderen strategisch gesetzten räumlichen Zeichen wird gleichsam phänomenologisch und empirisch unsere Wahrnehmung zielgerichtet sensibilisiert und die damit verbundenen Denkmuster und Seherfahrungen hinterfragt.

Mit einfachsten Formen und Materialen gelingt es Susanne Ruoff immer neu, ganze Kulturräume und damit verbundene Traditionen zu erschließen, zum Beispiel wenn sie Spazierstock-Skulpturen in unterschiedlichsten Formationen vom Gänsemarsch bis zum trauten Tête-à-tête in der Landschaft platziert oder andernorts auf allgegenwärtige naturnahe Prozesse und Metamorphosen verweist, indem sie an ausgewählter Stelle schimmernde und schillernde Lichtstrahlen oder glitzernde Wassertropfen aus Recyclingmaterial inszeniert oder zusammengewürfelte Fundstücke wie von einer Windhose getragen in die Schwerelosigkeit überführt. Naturähnlichkeit und Mimikri werden zum Sinnbild von Transformationsprozessen, Schutz- oder Überlebensstrategien, Verfall und Vergehen, wie jenes künstliche Immergrün, das die Fenster eines verlassenen Hauses auf Dauer verdunkelt oder wie jene strahlend weißen schuppengleichen Holzteile, die einen toten Baumstamm ummanteln und verwandeln.

Mit allen ihren Werken, ob für den Innenraum erdacht oder als ortsbezogene Intervention im Außenraum konzipiert, gelingt es Susanne Ruoff, eine eigene, eigensinnige, beziehungsreiche, umfassende und nicht zuletzt dynamische Ordnung der von ihr erdachten und konstruierten räumlichen Elemente zu evozieren und damit unsere Vorstellung von Welt und Wirklichkeit, Ordnung und Chaos, Anziehungskräften und freiem Fließen umfänglich und verblüffend klar vorzustellen und immer neu zu hinterfragen.

Birgit Möckel